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 12/09/2012
 

Ziel verfehlt!

Die 'Vermisst'-Kampagne in Deutschland

'Vermisst! Das ist mein Bruder Hassan.'

Bei dem Plakat, auf dem ein junger Mann in die Kamera lächelt, trügt der Schluss. Es ist weder eine Vermisstenanzeige noch eine Fahndungsplakat. In Wirklichkeit gibt es auch keinen Hassan, genauso wenig wie Fatima, Tim und Ahmad.

Die Namen mit den zugehörigen Bildern wurden eigens für die Kampagne 'Vermisst' des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erfunden. Sie ist Teil der vom Innenministerium und muslimischen Verbände gegründeten 'Initiative Sicherheitspartnerschaft'. Eltern, Freunde, Angehörige oder Lehrer sollen sich bei der Anlaufstelle melden, wenn sie merken, dass junge Menschen in ihrem Umfeld 'jeden Tag radikaler werden'. Religiöse Fanatiker und Terrorgruppen sollen so keine Chance bekommen, Nachwuchs zu gewinnen.

Ab dem 21. September sollen die Plakate mit Hasan & Co. in den besonders von Migranten bewohnten Stadtvierteln in Hamburg, Berlin und Bonn hängen. Außerdem kursieren sie jetzt schon im Internet. Das Ministerium sagt so dem Fundamentalismus den Kampf an, sie hat auch allen Grund dazu. Radikale Strömungen faszinieren seit Jahren immer mehr Jugendliche. Insbesondere der Islamismus hat sich mittlerweile zu einem sehr ernstzunehmenden Problem unserer Gesellschaft entwickelt.

Warum also die ganzen Kritiken, mit denen die Aktion seit ihrem Beginn zu kämpfen hat? Aus Protest gegen die Plakataktion haben vier muslimische Verbände bereits die bisherige Sicherheitspartnerschaft mit dem Bundesinnenministerium gekündigt. Verbände, Parteien, Medien – überall gibt es Stimmen, die sich gegen 'Vermisst' aussprechen – und das nicht zu Unrecht. Im Kreuzfeuer der Kritik steht nämlich nicht die Idee, sondern die Umsetzung der Kampagne.

Das Plakat, dessen Gestaltung geradezu einem Fahndungsplakat ähnelt, stigmatisiert offensichtlich Muslime – und schürt Vorurteile. Der nett lächelnde Hassan von nebenan mag ja vielleicht ein Fanatiker sein, ist die unausweichliche Schlussfolgerung des Betrachters. Demnach suggerieren eigentlich harmlose Fotos, dass jeder Moslem ein potenzieller Fanatiker und Radikaler sein kann. Die Grenzen zwischen Islam und Islamismus, zwischen islamisch und islamistisch, werden verwischt.

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Wort 'radikal' an sich. Was fällt darunter? Woher merken Eltern, Lehrer und Freunde, wann die Grenze zur Radikalisierung bei ihrem Kind, Schüler und Freund überschritten wurde? Die Integrationsbeauftrage und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Aydan Özoğuz, formuliert das im Gespräch mit Süddeutsche.de so: 'Wird die Innenbehörde bereits aktiv, wenn mein Kind zum Islam konvertiert?'.

Abgesehen davon ist die einseitige Ausrichtung der Kampagne fragwürdig. Warum wird hier mit Fatima, Hassan und Ahmad nur die Radikalisierung im Islam in den Mittelpunkt gestellt? Muslime werden pauschal unter Generalverdacht gestellt; die ohnehin schon existente 'Islamophobie' wird weiter geschürt. Trotz allem: Bundesinnenminister Friedrich hält an der Kampagne fest. 'Wir sind gerne zu weiteren Gesprächen bereit, aber die 'Vermisst-Kampagne' wird nicht abgewandelt', sagte ein Ministeriumssprecher der Nachrichtenagentur dapd.

Die 'Vermisst-Kampagne' gehört nicht abgewandelt, sondern abgeschafft. Es geht dabei keineswegs darum, Radikalismus und Terrorismus schönzureden. Doch die Aktion hat ihr Ziel verfehlt; abgesehen von der gefährlichen Pauschalisierung beschäftigt sie sich nur von außen mit dem Problem. Freunde und Bekannte sollen selbst erkennen, wann die Notbremse zu ziehen ist. Für die anschließende Kooperation mit der Beratungsstelle sind diese aber oft viel zu verunsichert und ängstlich. Vor allem geht eines nicht aus dem Plakat hervor: Was passiert letztendlich mit den Personen, die gemeldet werden?

Statt öffentlichen Plakaten hätte das Innenministerium einen anderen Zugang wählen müssen. Einen viel größeren Mehrwert bietet die direkte Aussprache mit Jugendlichen. Diese wäre nicht nur konkreter, sie würde sogar obendrein auch eine Präventionsfunktion erfüllen. Mit anderen Worten: Die 300.000 Euro, die für die Kampagne benötigt wurden, wären sicherlich besser in einer Aufklärungskampagne in Moscheen und Schulen aufgehoben. Fortbildungen mit Hodschas und Pädagogen würden so eine wichtige Grundlage für den Dialog mit (betroffenen) Jugendlichen bieten. Ganz nach dem Motto: Nicht angesprochen fühlen, sondern angesprochen werden.

Esra Güner