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 21/06/2012
 

Mehr Schaden als Nutzen

Seit Wochen, ja nun mehr schon seit Monaten wird in der Politik heftig um das Betreuungsgeld gestritten. Seinen Höhepunkt fand der Streit aber in der abgebrochenen Sitzung im Bundestag am vergangenen Freitag: Bei einer Abstimmung vor der ersten Lesung des Betreuungsgeldgesetzes waren viel zu wenige Abgeordnete anwesend; der Bundestag war somit nicht beschlussfähig. Mit einem simplen Trick hat die Opposition die schwarz-gelbe Koalition ausgetrickst: Der Gesetzesentwurf bleibt nun bis nach der Sommerpause auf dem Tisch liegen.

Das Betreuungsgeld – manchmal auch Erziehungsgehalt genannt- bezeichnet Geldleistungen für Familien, die ihre Kinder versorgen und erziehen. Die Sozialleistung soll ab dem kommenden Jahr 100 Euro für Einjährige und ab 2014 150 Euro für Ein- und Zweijährige betragen, wenn die Eltern für ihre Kinder keine staatlich geförderte Kita in Anspruch nehmen. Schon richtig verstanden: Geld gibt’s, wenn die Eltern keine Kinder in die Kindertagesstätte schicken.

Nicht nur, weil dieser Satz an sich schon absurd klingt, mehren sich seit Beginn der Debatte diejenigen, die gegen ein solches Gesetz sind – nicht nur in der Opposition. Derweil werden Kritikstimmen auch aus den eigenen Kreisen lauter: FDP-Chef Philipp Rösler kritisierte erst vor ein paar Tagen den Gesetzentwurf: Es müsse verhindert werden, dass dieser den Parallelbezug von Betreuungs- und Elterngeld im 13. und 14. Lebensmonat des Kindes zulässt.

Röslers Bemühungen für Änderungen an dem Entwurf sind ein leiser Aufschrei, für den andere Politiker bereits klare Worte finden. Laut Rita Süssmuth, CDU-Politikerin und Ex-Familienministerin, hat das Betreuungsgeld schlichtweg keine Unterstützung verdient. 'Die Maßnahme fördert weder die Frauen noch die Kinder', wird sie auf 'Spiegel Online' zitiert. Für Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende und Mitglied des CDU-Bundesvorstandes ist das Betreuungsgeld gleichstellungspolitisch sogar 'eine Rolle rückwärts'.

Es gibt viele Gründe, die gegen das Betreuungsgeld sprechen, allen voran wirft das grundlegende Konzept dieser Sozialleistung Fragen auf: Mit dem Betreuungsgeld werden Kerneigenschaften der Eltern gegenüber ihrer Kinder, so wie Liebe und Fürsorge, vergütet. Und diese sind zwar grundsätzliche und vorauszusetzende Werte, aber keineswegs Messbare: Wer garantiert, dass Eltern, die dieses Geld beziehen, es auch für ihre Kinder ausgeben?

Hauptargument der Regierung für ein Betreuungsgeld ist das viel zu geringe Betreuungsangebot, die Suche nach einem Krippenplatz vergleichen manche Eltern sogar mit einem Lotteriespiel. Das zusätzliche Erziehungsgeld soll also gerade diesen Andrang entlasten. Allerdings kann man genau dieses Argument auch umdrehen: Wären die 2,1 Milliarden Euro nicht besser bei der Finanzierung von Krippen und Kindertagesstätten aufgehoben?

Leider wird heute oft vergessen, dass diese Einrichtungen nicht nur eine Betreuungs- sondern auch eine pädagogische Funktion innehaben. In einer Gesellschaft, in der der Umgang mit Anderen eine Kernkompetenz darstellt, sollten Kinder nicht alleine zuhause betreut werden. Sie profitieren nachweislich davon, auf andere Gleichaltrige zu treffen und mit ihnen zu spielen. Statt aber in derartige Begegnungsstätte zu investieren, schwächt das Betreuungsgeld den flächendeckenden Ausbau an Kinderbetreuung.

In diesem Kontext kommt man auch nicht drum rum, das allzeitig gegenwärtige Thema ‘Integration‘ in die Diskussion miteinzubeziehen. Förderung im jungen Alter, vor allem unter dem Aspekt der Chancengleichheit, ist gerade für Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial schwachen Familien extrem wichtig. Allerdings sind es oft diese Familien, die ihre Kinder lieber zuhause behalten. Laut einer OECD-Studie tendieren vor allem Frauen aus Zuwandererfamilien mit sozial schwachem Hintergrund häufig dazu, Geld vom Staat anzunehmen und ihre Kinder zu Hause zu versorgen, statt eine Arbeitsstelle und Betreuung zu suchen. Die Studie beruft sich dabei vor allem auf das Land Norwegen, welches nach Einführung des Betreuungsgeldes diese Tendenz bestätigt hat.

Es gibt aber noch einen weiteren wichtigen Punkt, der gegen die neue Sozialleistung spricht: Frauen sollten die Möglichkeit zur Erwerbstätigung haben, während ihre Kinder betreut werden. Das Betreuungsgeld widerspricht dieser Überzeugung. Im Gegenteil, es verankert die traditionelle Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern. Es vermindert den Zugang auf eigenes Erwerbseinkommen mit sozialer Absicherung, gleichzeitig werden die Effekte des Elterngeldes verstärkt: Mütter haben es schwerer, schnell in den Job zurück zu finden. In einer Zeit, in der die Frauenquote diskutiert wird, erscheint das Betreuungsgeld aufgrund seines konterproduktiven Effekts so ziemlich abstrus.

Trotz dieser Punkte: Die CSU; der Großteil der CDU und allen voran die Verfasserin des Gesetzesentwurfs Familienministerin Kristina Schröder sind weiterhin starke Befürworter der Initiative. Der Hauptgrund wurde genannt. Hinzu kommt aber noch ein weiteres formales Argument, nämlich die Tatsache, dass das Betreuungsgeld bereits in dem 2009 vereinbarten Koalitionsvertrag steht und deswegen eigentlich schon entschiedene Sache ist. Besonders Horst Seehofer besteht auf die Einhaltung dieser Vereinbarung und scheut nicht davor zurück, den Druck auf Kanzlerin Angela Merkel und die Regierung stetig zu erhöhen. Erst jüngst drohte der CSU-Chef mit einem Koalitionsbruch.

Mit dieser Haltung wird aber immer noch nicht klar, warum das Betreuungsgeld um jeden Preis umgesetzt werden soll. Warum wird trotz der heftigen Reaktionen konsequent weiter darauf beharrt?

Zwei Gründe lassen sich nur vermuten: Zum einen geht die bundesweite U3-Betreuung seit Jahren nur schleppend voran. So müsste zum Beispiel das Land NRW bereits in zwei Jahren in der Lage sein, für jedes dritte Kind einen Betreuungsplatz anzubieten – ein nahezu unrealistisches Ziel. Wahrscheinlich soll das Betreuungsgeld also verärgerte Eltern besänftigen und ruhigstellen. Ob das Unterfangen so viel kostengünstiger ist, bleibt dahin gestellt. Wirtschaftsexperten wie Finanzwissenschaftlicher Bernd Raffelhüschen befürchten einen hohen Anstieg der Gesamtverschuldung. Zum anderen erhofft sich die Koalition vielleicht auch, mit dem Betreuungsgeld Wähler aus dem konservativen Lager zu gewinnen. Schließlich soll damit die Familienarbeit honoriert werden.

Das sind Argumente, die sicherlich auch aus Sicht der Kanzlerin nicht überzeugend klingen. Nur leider halten die Vereinbarung im Koalitionsvertrag und der damit verbundene Druck sie davon ab, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Denn eigentlich weiß auch Merkel ganz genau, dass das Betreuungsgeld keinen Sinn ergibt. Es löst weder die Probleme der Frauen noch die der Kinder. Es ist damit ein heftiger Bremser für die bisherige Familienpolitik, die sich eigentlich immer mehr den Bedürfnissen der Eltern näherte. Zu hoffen bleibt, dass Merkel die Sommerpause dazu nutzt, diesen Widerspruch einzusehen.

Bis dahin wäre es auch nicht gerade schlecht, wenn sich Opposition und kritische Regierungsmitglieder der Kindergarten-Mentalität entledigen könnten. Eine Entscheidung wie das Betreuungsgeld erfordert keine raffinierten Tricks, sondern einen ernsthaften Diskurs. Auch, wenn Seehofer und Co. keine Zugeständnisse machen wollen: Die heftigen Reaktionen auf das Betreuungsgeld beweisen: Es gibt noch großen Diskussionsbedarf, und das Betreuungsgeld muss schließlich dort diskutiert werden, wo es hingehört: im Bundestag.

Esra Güner