Bundespräsident & Medien

 

Der Bundespräsident und die Medien

Früher bediente man sich der Folter, heute der Presse, hat Oscar Wilde einmal gesagt. Der Schriftsteller ist schon etliche Jahrzehnte tot, seine Worte haben aber auch im Jetzt nichts an ihrer Gültigkeit verloren. Gerade an diesen Tagen sind sie hochaktuell, wie vor allem Bundespräsident Christian Wulff selbst behaupten würde. Sein Umfeld, seine Unterstützer und die wenigen Medien, die ihm noch wohl gesonnen sind, gehen gar einen Schritt weiter und sprechen von einer 'Hetzjagd' der Medien auf den Bundespräsidenten. Unweigerlich denkt man einige Monate zurück und erinnert sich an den einstigen Politstar Guttenberg. Dabei ist der Fall des Letzteren keineswegs mit dem des ersten Bürgers des Staates vergleichbar. Während Guttenberg mühsam aber im nachhinein erfolglos versuchte, dass ihm selbst (oder jemand anderem) die Quadratur des Kreises gelingt, hat Wulff nur gute Freunde, die zufällig über das nötige Kleingeld verfügen und ihm einen günstigen Kredit gewährten oder ihn in ihren Urlaubsresidenzen empfangen. Werfe der den ersten Stein, der sich nicht solche Freunde wünscht!

Es gibt noch mehrere, feinere Unterschiede. Wulff war auch nicht wirklich ein Politstar, der den Job, den er (noch) hat, auch nur deshalb bekam. Guttenberg war Opfer seiner Profilneurose. Er hat betrogen für einen Titel, den er eigentlich nicht nötig hatte. Er war ja bereits ein Mitglied der höheren Gesellschaft. Wulff hingegen ist Opfer seines Drangs zu dieser Gesellschaft zu gehören. Er kam aus einfachen Verhältnissen und wollte nach ganz oben, politisch wie gesellschaftlich. Wulff ist ein sozialer Aufsteiger, dessen Weg nach oben nicht zuletzt auch von der größten deutschen Tageszeitung geebnet wurde. Als Gegenzug bekam die BILD diverse Homestorys, Exklusivinterviews sowie nette Bilder aus dem Privatleben. Es war die Zeit, in der die Privatsphäre noch nicht ihren heutigen Wert hatte. Waren die Guttenbergs für die BILD das Polit-Glamour-Paar Nummer eins im Staat, waren die Wulffs direkt hinter ihnen. Doch anders als bei den Guttenbergs wandte sich bei den Wulffs das Blatt irgendwann in eine andere Richtung. War die BILD die lauteste Guttenberg-Verfechterin, ist sie jetzt als Wulff-Killer zu verstehen. Ironisch dabei, dass gerade die BILD die Rolle des Moralapostels annimmt und eine lückenlose Aufklärung fordert. Die BILD! Wer hätte das gedacht?

Die Kredit- und Urlaubsaffäre des Bundespräsidenten hat gewiss einen Beigeschmack. Dennoch: Man hätte über sie hinweg sehen und sich köstlich darüber amüsieren können, wie sich das Boulevardblatt, das an die meisten seiner Geschichten ganz ohne Moral und jegliche Presseethik kommt, selbst der Lächerlichkeit aussetzt, indem es den Zeigefinger in die Höhe hält. Das wäre ein nettes Schauspiel gewesen, das dem Bundespräsidenten wahrscheinlich mehr Nutzen als Schaden gebracht hätte. Die BILD als Werteverteidiger – ein Bild das prädestiniert für eine Erfolgskomödie ist. Doch soweit kam es nicht. Daran ist niemand anderes als der Bundespräsident selbst schuld. Sein Wutausbruch, also seine auf der Mailbox des Chefredakteurs Diekmann festgehaltene Drohung, verschiebt das Opfer-Täter Schema. Ein Bundespräsident, der einem Medium, ganz gleich welcher Qualität, den Krieg erklärt, falls ein Bericht veröffentlich wird, ist - anders kann man es nicht sagen - eine Schmach. Vor allem, wenn es gerade dieses Medium war, dass in guten Zeiten von ihm selbst als Sprachrohr und für jeglichen Glanz & Glamour Auftritt benutzt wurde. Es ist eine Schmach und führt zu dem, was nun der Fall ist: Der Zuspruch, die Unterstützung, das Vertrauen der Bevölkerung schwindet. Ein Bundespräsident, der die Rechte des Grundgesetzes oder das Strafgesetzbuch (in diesem Fall GG Artikel 5/ StGB § 240) nicht achtet und sie nicht schätzt, hat die Würde dieses Amtes nicht verstanden, das Präsidentensein nicht verinnerlicht. Deutlich wird das auch, wenn er selbst seine Drohung als 'Bitte' interpretiert und selbst nicht dazu beiträgt, Klarheit zu schaffen, indem er der versprochenen Transparenz selbst im Wege steht. Bei allem Verständnis, der Bundespräsident hat in dieser Affäre keine Privatsphäre mehr. Die Klarschiff-Stunde schlägt. Deshalb gilt bei aller berechtigter Medienkritik: Wulff ist eigentlich nur Opfer seiner selbst. Er ist Opfer seiner Gier nach oben zu wollen, egal mit wem oder durch wen. Er ist Opfer seiner Uneinsichtigkeit, seiner Sturheit und seiner Dummheit. Wohl gesonnen kann man auch sagen, dass er Opfer menschlicher Schwächen ist. Keineswegs ist er aber Opfer der Medien.

Der Bundespräsident und die Türken

Aus dem türkischen Blickwinkel betrachtet sind in der Causa Wulff die Reaktionen der türkischen Community besonders interessant. Noch mehr, sie sind einmalig.

Der breite Zuspruch und die massive Unterstützung (die teilweise an Naivität grenzt und jegliche Klarsicht vermissen lässt) ist deshalb so einmalig, weil es sich bei Wulff (trotz der Neutralität, die er als Bundespräsident wahren muss) immerhin um einen handelt, der aus den vordersten Reihen der CDU kommt. Ein CDU Politiker, der von den hiesigen Türken so viel Rückhalt bekommt - das gab es bisher noch nicht. Nicht auf der Bundesebene. Von 'unserem Bundespräsidenten', den man gefälligst 'in Ruhe lassen' soll, war die Rede. Wulff sei der 'bisher beste Bundespräsident', den Deutschland je gehabt habe (was nicht nur maßlos übertrieben, sondern auch faktisch alles andere als richtig ist). Sogar bekennende Sozialdemokraten wie der Vorsitzende der TGD schmissen sich für Wulff in die Bresche und forderten die Medien auf, ihre Kritik endlich einzustellen. Grund hierfür ist nicht nur, oder sogar weniger die Ernennung Aygül Özkans zur ersten Landesministerin Deutschlands. Grund hierfür ist vielmehr seine Rede, in dem er den Islam als auch einen Teil Deutschlands definierte, dafür mächtig Prügel bekam und trotzdem nichts relativierte, wenn auch nicht konkreter wurde. Grund hierfür ist auch seine Reaktion auf die Neonazimordserie, die echte Betroffenheit zeigte. Damit erreichte Wulff, was bisher kein CDU Politiker auf Bundesebene erreichte: Er gewann die Seelen, die Herzen der Türken, die, wenn es darauf ankommt, mit purer, gar blinder Loyalität ihre Dankbarkeit erweisen können. Das tun sie jetzt bei Wulff. Das würden sie auch bei anderen tun, wenn diese denn in der Lage wären, ebenso ihre Herzen zu gewinnen, indem sie ihre Sprache sprechen. Dies sollte Merkel & Co. zu denken geben. Die nächsten Wahlen stehen vor der Tür.

 

Serap Güler